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Lieferketten: Die aktuellen Engpässe dürften langsam wieder abebben

Die Produktion hält mit der kräftigen Nachfrage derzeit nicht Schritt. Lieferengpässe bremsen die Wirtschaft und treiben die Inflation in die Höhe. Doch Entspannung ist in Sicht.

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Die Weltwirtschaft könnte im Schnellzug unterwegs sein. Stattdessen rollt sie im Schlafwagenzug daher. Engpässe sind ein wichtiger Grund hierfür. Sie dämpfen die Produktion und treiben die Inflation in die Höhe. Sie verhindern, dass die prall gefüllten Auftragsbücher rasch abgearbeitet und zu Umsatz gemacht werden können. Sinnbild hierfür ist die Schere, die sich zwischen Auftragseingängen und Produktion aufgetan hat (siehe Abbildung). Doch was steckt hinter den Engpässen und werden sie sich auflösen? Müssen wir uns auf dauerhaft erhöhte Inflation einstellen?

Wirtschaft fuhr unterschiedlich schnell hoch

Die Engpässe stehen natürlich im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie. Eine Rolle spielt dabei, dass die Länder ihre Wirtschaft unterschiedlich schnell hochgefahren haben. Während beispielsweise Fabriken in China bereits im Frühsommer 2020 auf Hochtouren liefen, befanden sich andere Länder und deren Industrie noch im Lockdown. Das ist deshalb relevant, weil heutzutage viele Produkte in internationaler Arbeitsteilung hergestellt werden. Beispielsweise ist die Schweiz in hohem Masse auf internationale Zulieferer angewiesen. So hat die ausländische Wertschöpfung einen Anteil von über 25% an den Schweizer Exporten. In der Maschinenbauindustrie, die im Kanton Luzern stark vertreten ist, sind es sogar 35%. Davon beruhen über die Hälfte auf Vorprodukten, die mehr als zwei Landesgrenzen überquert haben, bevor sie in der Schweiz weiterverarbeitet werden.

Die Produktion ist aufgrund der internationalen Arbeitsteilung komplexer geworden. Hinzu kommt, dass Unternehmen Vorprodukte und Rohstoffe nicht lange vorhalten. Damit sind die globalen Produktionsprozesse gegenüber Störungen anfällig. Das reibungslose Ineinandergreifen der Zahnräder, die für die Produktion wichtig ist, funktionierte aber pandemiebedingt nicht mehr.

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Mann mit Namen Brian Mandt, Chefökonom der LUKB

Das reibungslose Ineinandergreifen der Zahnräder, das für die Produktion wichtig ist, funktionierte pandemiebedingt nicht mehr.

Brian Mandt, Chefökonom
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Logistik wurde zum Nadelöhr

Nichtsdestotrotz, die harschen Lockdowns vom Frühjahr 2020, die auch die Industrie beeinträchtigten, scheinen der Vergangenheit anzugehören. Die Produktionsprozesse hätten sich also wieder normalisieren sollen.

Ein Grund, warum es dennoch nicht rund läuft, sind Engpässe im Transportsektor. Die Container-Kapazitäten, die während des anfänglichen Handelsrückgangs brach lagen, konnten nur schrittweise reaktiviert werden. Hinzu kam, dass die Wartezeiten in den Häfen aufgrund der hohen Einfuhrmengen stiegen. Die Havarie im Suezkanal tat ihr Übriges und führte zu einem Rückstau von Containern.

Aber auch zu Lande und zu Luft fehlen Transportkapazitäten. In den USA sind zwar genügend Lastwagen da. Doch es mangelt an Lkw-Fahrern. Die Arbeitsmarktstatistik zeigt, dass gegenüber Anfang 2020 knapp 7’000 Beschäftigte im Bereich Lkw-Transport fehlen. Das weltweite Aufkommen an Passagierflügen, auf die etwa die Hälfte des Luftfrachtvolumens entfällt, nahm aufgrund von Restriktionen deutlich ab. Das hat Folgen für Hersteller verderblicher Waren, medizinischer Güter und Produzenten des verarbeitenden Gewerbes, die auf eine schnelle Just-in-Time-Lieferung von Vorleistungsgütern angewiesen sind.

Transportengpässe lösen sich langsam auf

Doch die Engpässe in der Logistik lösen sich allmählich auf. So wurden die Reisebeschränkungen in den letzten Monaten gelockert. Damit hat das aviatische Transportvolumen wieder zugenommen. Bis das Vorkrisenniveau erreicht wird, dürfte es jedoch noch einige Monate dauern. Zudem setzt es voraus, dass weitreichende Beschränkungen des Reiseverkehrs vermieden werden können. Auch in der Schifffahrt entspannt sich die Lage. Organisatorische Anpassungen in Häfen sowie ein von der internationalen Schiffsorganisation BIMCO prognostizierter starker Anstieg von Schiffsneubauten für 2023 sollten dazu beitragen, die Kapazitätsengpässe zu lindern.

Ein Indiz dafür, dass sich die Lage in der Logistik allmählich lockert, ist der Rückgang der Transport- und Lieferkosten. So sind der Freightos Baltic Global Container Index (FBX), der die Frachtraten für Container misst, und der Harper Petersen Charter Rates Index (HARPEX), der die weltweite Preisentwicklung am Chartermarkt für Containerschiffe abbildet, in den letzten Wochen zurückgekommen – wenn auch auf hohen Niveaus (siehe Abbildung).

Aufwärtsdruck auf Inflation sollte abnehmen

In den vergangenen Monaten haben die gestiegenen Lieferkosten jedenfalls deutlich zur Inflationszunahme beigetragen. Denn üblicherweise geben Importeure einen Teil der steigenden Transportkosten über höhere Preise an die Verbraucher weiter. Eine Analyse der Federal Reserve Bank of Kansas City zeigt, dass nach einem Jahr der Effekt von Schiffspreisen auf die Inflation in den USA zwar begrenzt ist: Ein jährlicher Anstieg des HARPEX um 50% könnte die Kerninflationsrate ein Jahr später um bis zu 0.25 Prozentpunkte erhöhen. Doch der HARPEX ist dieses Jahr in der Spitze um 580% gestiegen. Setzt sich der Rückgang der Lieferkosten fort, sollte auch der Aufwärtsdruck auf die Konsumentenpreise bzw. die Inflation abnehmen.

Konsumhunger nach Waren ist bald gesättigt

Die Engpässe sollten auch deshalb abebben, weil eine Entspannung vonseiten der Nachfrage zu erwarten ist. In vielen Industrieländern war in den Monaten nach der Aufhebung der Lockdowns die Nachfrage der Konsumenten nach Waren sprunghaft gestiegen. In der Schweiz nahmen beispielsweise die Importe nach Freizeit- und Sportartikeln kräftig zu.

Der Sättigungspunkt scheint aber bereits erreicht zu sein. Die Schweizer Importe nach Freizeit- und Sportartikeln haben deutlich an Dynamik verloren. Auch in anderen Ländern beobachten wir ähnliche Trends. Darüber hinaus wird die reale Kaufkraft durch die in vielen Ländern kräftig gestiegenen Inflationsraten reduziert. Das trägt auch dazu bei, dass die privaten Haushalte ihr Konsumtempo künftig drosseln. Die Güternachfrage könnte in den kommenden Quartalen damit sogar deutlich unter den Trend fallen.

Lager werden aufgefüllt

Wenn die privaten Haushalte weniger Waren nachfragen, dann hat das dämpfende Effekte auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum eines Landes. Die Bremswirkung sollte jedoch wenigstens teilweise dadurch kompensiert werden, dass die Konsumenten verstärkt Dienstleistungen nachfragen. Insbesondere der Konsum von kontaktintensiven Dienstleistungen, wie aus dem Freizeit-, Kultur- und Tourismussektor, war ihnen ja lange verwehrt. Der Nachholbedarf danach ist daher hoch.

Darüber hinaus machen wir bei Unternehmen und Händlern einen Bedarf dafür aus, die Vorräte an Produkten und Waren wieder aufzufüllen. Ein grosser Teil der Nachfrage nach Gütern wurde aus den Lagern bedient, die nun leer sind. Das Aufstocken der Vorräte wird in den kommenden Quartalen dazu beitragen, die Wirtschaftsleistung zu stützen.

Chinas Nachfrage nach Metallen lässt nach

Hohe Investitionen in IT-Ausrüstung und das Bauwesen in Verbindung mit einer robusten Industrieproduktion kurbelten die Nachfrage nach Basismetallen und Eisenerz an. Die Lage wurde noch dadurch verschärft, dass es vor Ausbruch der Coronavirus-Pandemie zum protektionistischen Schlagabtausch zwischen den USA und einer Reihe anderer Länder kam. Die Trump-Administration hatte z.B. Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium erhöht. Die Eisenerzpreise stiegen bis zum Sommer 2021 – auch und vor allem wegen der boomenden Bau- und Industrieproduktion in China. Die Preise fielen dann aber deutlich, als sich in China die Dynamik in diesen Sektoren abschwächte.

Wir rechnen damit, dass sich die Lage am Markt für Basismetalle längerfristig entspannen könnte. Einerseits verlieren Chinas Bausektor und Industrie, die zu den weltweit wichtigsten Konsumenten von Basismetallen zählen, an Schwung. Andererseits dürfte die Lockerung der Pandemiebeschränkungen in Südamerika, wo sich grosse Produktionsstätten befinden, das Angebot erhöhen. Auch einige kürzlich getätigte Investitionen in Südamerika sollten die Produktion zusätzlich steigern.

Engpässe sind nicht von Dauer

Es ist nicht das erste Mal, dass Engpässe die Produktion beeinträchtigen – auch wenn die aktuelle Entwicklung ihresgleichen sucht, denn sie betrifft weite Teile der Wirtschaft und die allermeisten Länder. Schon in der Vergangenheit wurden viele Branchen von einer starken Nachfrage überrascht und hatten zu geringe Lagerbestände an bestimmten Gütern. Andere hatten mit Versorgungsproblemen zu kämpfen, die durch einen Ernteausfall oder eine Naturkatastrophe ausgelöst wurden. Beispielsweise mussten infolge der Erdbebenkatastrophe in Japan im Jahr 2011 Fabriken vorübergehend schliessen, was u.a. die internationale Autoproduktion beeinträchtigte. Die Märkte fanden jedoch immer wieder ins Gleichgewicht zurück.

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Mann mit Namen Brian Mandt, Chefökonom der LUKB

Wir gehen davon aus, dass die Engpässe allmählich abebben werden, wobei das Tempo sich von Branche zu Branche deutlich unterscheiden kann.

Brian Mandt, Chefökonom
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Das erwarten wir auch für die aktuelle Situation. Diesbezüglich gibt es schon Zeichen der Entspannung. Seitens der Nachfrage rechnen wir damit, dass sich der Konsum von Gütern verlangsamen wird. Gleichzeitig dürften Unternehmen in den Auf- und Ausbau von Produktionskapazitäten investieren. Per Saldo gehen wir davon aus, dass die Engpässe allmählich abebben werden, wobei das Tempo sich von Branche zu Branche deutlich unterscheiden kann. Somit dürfte auch der Aufwärtsdruck auf die Inflation – wenn auch auf hohem Niveau – wieder abnehmen.