Dossier-Unternehmerthemen-Erfolgsfaktor-Intro

Der unterschätzte Erfolgsfaktor

Warum Sie dem Zufall eine Chance geben sollten.

Der Teebeutel oder die Teflonbeschichtung – sie sind nur zwei von vielen Lösungen, die unerwartet entdeckt und dank aufmerksamen Zeitgenossen zu einer Erfolgsgeschichte wurden. Wie uns der Zufall den Weg weisen kann. 

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Bei klinischen Tests für den Covid-Impfstoff von AstraZeneca wurde den Probanden aus Versehen zu kleine Dosen verabreicht. Es zeigte sich, dass der Immuneffekt sogar grösser war. Davon profitiert nun auch die Schweiz. Sie hat im November insgesamt 5.3 Millionen Dosen des neuen Vakzins reserviert.

Der Duden kennt die so genannte Serendipität: Das Wort bezeichnet die zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als wertvoll und zukunftsträchtig erweist. 

In der Geschichte der Technik sind Serendipitäts-Momente gar nicht so selten: Die Menschheit verdankt ihnen so unterschiedliche Erfindungen wie die Teflon-Beschichtung oder den künstlichen Süssstoff Saccarin. 

In den Fokus von Wirtschaftswissenschaftlern und Managementberatern ist das «Serendipitätsprinzip» aber aus einem anderen Grund gerückt: Kundenbedürfnisse, Wertschöpfungsketten und Technologien verändern sich in einem nie dagewesenen Tempo. 

Produkte, die nach dem guten alten Wasserfallmodell entwickelt werden, kommen oft schon veraltet auf den Markt. Als Alternative bietet sich ein Prozessmanagement an, das Lieferanten, Partnern und Kunden in die Entwicklung miteinbezieht und neue, sich oft zufällig ergebende Konstellationen als Chancen begreift. 

Leiter Innovationsparks Zentralschweiz, Rotkreuz

Zurückstehen und «es» geschehen lassen

Einer, der sich damit auskennt, ist Sem Mattli, Leiter des Innovationsparks Zentralschweiz in Rotkreuz. Der 42-jährige Ingenieur vernetzt unter dem Motto «Building Excellence» Unternehmen aus der Bau- und Immobilienwirtschaft. Zu seinen bekanntesten Stakeholdern zählen der Gerätebauer V-Zug, der Obwaldner Generalunternehmer Eberli, die CKW oder die Stadtluzerner Softwarefirma BBV-Group. 

Hierarchisch und fachlich diverse Teams treffen sich periodisch zu Workshops und tauschen sich aus. «Die Suchfelder werden von den Teilnehmern definiert. Wir vom Innovationspark orchestrieren die Treffen und helfen, Innovationsprojekte zu starten», erklärt Mattli das Vorgehen. 

Dass es oft mehr bringt, zurückzustehen und «es» geschehen zu lassen, als krampfhaft nach der einen, durchschlagenden Lösung zu suchen, ist bekannt. Unlängst wurde darüber auch in der Sendung «Sternstunde Philosophie» des Schweizer Fernsehens diskutiert. HSG-Professorin Miriam Meckel sprach von «Ideenmeditationen». Sie würden den geistigen Freiraum schaffen, den Ideen brauchen, um einem in den Schoss zu fallen. 

Ohne die Freiheit, Umwege machen zu dürfen, geht es nicht

Die unerwarteten Einfälle und Anregungen sind oft die besten. So war es auch bei Rudolf Bichsel, dem Gründer, Inhaber und Chef des Anlagenbauers Cerex. Der Zufall meldete sich als Anrufer, der Fragen zur Basistechnologie von Cerex hatte. Für Bichsel nichts Neues, denn sein 40-Mann-Betrieb ist globaler Technologieführer im sogenannten «Puffing», dem Aufblähen von Getreidekörnern aller Art. Die Kunden sind internationale Konzerne, die ihrerseits Grossverteiler wie Migros und Coop mit Frühstücks-Cerealien beliefern. 

Erstaunt war Bichsel erst, als sich der Mann als Vertreter einer britischen Tabakfirma zu erkennen gab und wissen wollte, ob sich allenfalls auch die Rippen von Tabakblättern «puffen» liessen. «Das war für mich ein Schlüsselerlebnis», erinnert sich Bichsel. Von da an wusste er, dass seine Technologien nicht nur in der Foodbranche Potential haben.

Heute wird im Industriegebiet von Bleienbach bei Langenthal gebaut. Es entsteht eine Pilotanlage. Sie wird ab Mitte 2021 Maisgriess zu einem organischen Partikelschaum expandieren. «Wir werden aus 75 Kilo Griess einen Kubikmeter Schaumstoff herstellen und damit 25 Kilogramm Plastikgranulat substituieren», schwärmt Bichsel.

Parallel zum Bau der Pilotanlage läuft ein vom Bund unterstütztes Innovationsprojekt mit der EMPA. Es geht um den Einsatz des organischen Partikelschaumes als Dämmmaterial in Hausfassaden. «Wir müssen sicherstellen, dass es nicht zum Befall durch Insekten und Nager kommt», erklärt Bichsel.

Für den 68-jährigen Vollblutunternehmer sind Offenheit für den Zufall und klassischer Wissens- und Technologietransfer (WTT) keine Gegensätze. «Meine Experimentierlust bringt mich auf Ideen, die Weiterentwicklung muss mit System passieren».

Gründer, Inhaber und Chef Cerex, Bleienbach

Eine Strategie, die auch Innovationsexperte Sem Mattli empfiehlt. Die in Rotkreuz eingemieteten Unternehmen haben jederzeit die Möglichkeit, sich mit den Forschungs- und Fördereinrichtungen auf dem Campus kurzzuschliessen: sei es mit Innovationstransfer Zentralschweiz (ITZ), mit dem CSEM Alpnach oder der Hochschule Luzern. «Bei Bedarf», so Mattli, «gleisen wir ein WTT-Projekt auf oder suchen einen Studenten, der auf dem Projekt seine Masterarbeit schreibt».

Vom «Erfolg durch Zufall» spricht Miriam Meckel. Nicht zu verwechseln mit dem zufälligen Erfolg. Meckel warnt vor falschen Erwartungen. Eine unternehmerische Umsetzung des Serendipitätsprinzips, so die HSG-Professorin, beinhalte immer auch ein «Lob des Scheiterns». Denn geradlinig sind ergebnisoffene Innovationsprozesse nie. 

Sem Mattli darf über die Projekte seiner Stakeholder naturgemäss keine Auskunft geben. Wie der Zufall in einem Innovationsprojekt so spielen kann, weiss er allerdings noch von seiner Zeit bei der Sportbekleidungsgruppe Mammut. 

Er suchte mit seinem Team Alternativen zur Befestigungstechnik Nähen. «Dabei stiessen wir auf das Laserschweissen, bemerkten, dass das Verfahren besonders geeignet ist, Membrane zu verarbeiten und dachte über Isolationskammern nach». Was schnell erzählt ist, dauerte in der Realität Jahre, aber heute ist eine neue, extrem hochwertige Mammut-Ski-Jacke in den Läden. 

Ohne die Freiheit, Umwege machen zu dürfen, gehe es nicht, sagt auch Rudolf Bichsel. Er ist geschäftsführender Inhaber der Cerex. Er stellt sich die Lizenz zum Scheitern selber aus. Angestellte hingegen brauchen die Rückendeckung ihrer Vorgesetzten. 

«Neue Ansätze im Innovationsmanagement», sagt Sem Mattli, «funktionieren nur, wenn sie von Geschäftsleitung und Verwaltungsrat gewollt sind und unterstützt werden».

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Vom Maisgriess zum organischen Partikelschaum

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