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Das Thema künstliche Intelligenz beschäftigt den Markt weiter. In den allgemeinen Optimismus mischt sich allerdings zunehmend Skepsis. Die Anleger wollen Erfolge bei der Monetarisierung sehen.
Nach der grossen anfänglichen Euphorie ist in die Debatte rund um die Gewinner und Verlierer der Fortschritte im Bereich «Künstliche Intelligenz» (KI) etwas mehr Realismus eingekehrt. Klare Erfolge können noch immer die Chipproduzenten verbuchen. Etwas weniger eindeutig ist die Lage bei den Anwendern von KI im Technologie- und Mediensektor. Hier reicht die Spanne von finanziell deutlich zählbarem Erfolg bis zu Sorgen hinsichtlich der Tragbarkeit des bisherigen Geschäftsmodells. In den übrigen Sektoren bleiben die Auswirkungen, bis auf wenige selektive Ausnahmen, immer noch überschaubar.
Ziemlich eindeutig bleibt der Erfolg von Nvidia. Die Nachfrage nach Chips für Rechenzentren ist unverändert stark. Das zeigt sich auch beim Umsatz, der im Schnitt der letzten zwei Jahre um jeweils USD 4 Mrd. zum Vorquartal wuchs, allerdings mit grossen Schwankungen. Das Unternehmen erwartet bis zum Ende der Dekade Ausgaben für KI in der Grössenordnung von USD 3’000 bis 4’000 Mrd. Das liesse noch jede Menge Potenzial für weiteres Umsatzwachstum.
Auch die Entwicklung der Investitionsbudgets namhafter Betreiber von Rechenzentren (Alphabet, Amazon, Meta, Microsoft) spricht eine deutliche Sprache. Der Markt rechnet im laufenden Jahr mit Ausgaben von USD 360 Mrd., was einem Anstieg von 56% entspricht. Nächstes Jahr sollen es nochmals 16% mehr werden. Bezogen auf die amerikanische Wirtschaftsleistung entsprechen allein diese Investitionen einem Beitrag von etwas mehr als 1%. Interessant ist auch, dass die Investitionsbudgets stetig angehoben wurden, sprich: Das Wachstum für das Jahr 2026 könnte noch höher als bisher angenommen ausfallen (siehe Abbildung 1).
Die grossen Rechenzentrenbetreiber haben allen Grund, in KI zu investieren, denn sie können bereits nachweisen, dass sich die Ausgaben lohnen. Bei den Cloud-Anbietern ist es die Nachfrage nach Kapazitäten von Kunden, und bei den Internetriesen kommt noch der Einsatz für die gewinnbringende Zuspielung von Werbung hinzu. Allerdings geht von den enormen Ausgaben ein gewisser Margendruck aus.
Der Investitionsboom dürfte für ein gutes Umfeld für Halbleiterunternehmen mit einer direkten Exponierung gegenüber KI sorgen. Das gilt nicht nur für Prozessoren, sondern auch für Speicher und Netzwerkchips. Betroffen ist dabei die gesamte Wertschöpfungskette von Software für den Entwurf der Chips bis hin zur eigentlichen Produktion. Auch bei Software und Kommunikationsaktien gibt es Beispiele, dass Endkunden bereit sind, für KI-basierte Werkzeuge zu zahlen (z.B. für die Generierung von Inhalten oder die Datenanalyse).
Ein weiterer Profiteur ist der Versorgersektor. Den Stromversorgern – und zwar Erzeugern und Netzbetreibern – spielt der enorme Stromhunger der Rechenzentren in die Hände. In den USA ist das bereits in Form von Verträgen zur Versorgung von Rechenzentren mit (Atom-)Strom und in einem Anstieg der Stromnachfrage sichtbar. Das ist auch ein Grund für unsere positive Haltung zum Versorgersektor.
Unverändert steht die Frage im Raum, ob sich die enormen Investitionen auszahlen werden. Ein Teil der Kapazitätsaufrüstung geschieht auch, weil die Anbieter von einer steigenden Nachfrage ausgehen. Dafür ist es zunächst nicht von Bedeutung, ob die Kapazitäten von wenigen extrem leistungshungrigen KIs ausgelastet werden oder von enorm vielen sehr effizienten KIs (z.B. dem chinesischen DeepSeek). Fraglich ist allerdings, welche Arten von KIs eine Rolle spielen werden.
Grosse Sprachmodelle wie ChatGPT werden es kaum sein, denn hier werden die bestehenden Hürden immer besser sichtbar. Fortschritte bei der Entwicklung einer «Künstlichen Allgemeinen Intelligenz» mit kognitiven Fähigkeiten könnten der Schlüssel zu einem breiteren sinnvollen Einsatz sein.
Allerdings beschäftigt sich der Markt auch mit der Frage, welche Aktivitäten oder Unternehmen Opfer einer stärkeren Verbreitung von KI-Anwendungen werden könnten. Sorgenfalten gibt es bereits bei Werbeagenturen, denn generative KIs könnten einen Teil der Arbeit übernehmen. Die Generierung von Bildern, Werbefilmen oder ganzen Kampagnen könnte von Maschinen übernommen werden. Die Entwicklung des dahinterstehenden kreativen Gedankens aber eher nicht.
Einem ähnlich gelagerten Problem sehen sich IT-Service-Unternehmen gegenüber. Die Einführung neuer Technologien sorgt grundsätzlich für Nachfrage. Zudem könnten Leistungen effizienter erbracht werden. Genau das könnte dem Sektor zum Verhängnis werden, wenn Kunden deshalb niedrigere Preise verlangen. Das würde zu Druck auf die Umsatzentwicklung führen und gegebenenfalls auch auf die Margen.
Neuerlich wurden auch Softwareanbieter als mögliche Leidtragende ausgemacht. Schliesslich könnten KIs ja in Windeseile für die jeweils anstehende Aufgabe optimierte Programme schreiben. Die Diskussion geht allerdings an einem unveränderten Problem von generativen KIs vorbei: Sie haben keinerlei Verständnis für das Problem und auch keine Denkfähigkeit. Ein Programm mag schlüssig aussehen und womöglich sogar lauffähig sein. Allerdings empfiehlt es sich, das Programm Zeile für Zeile genau zu überprüfen.
Vor kurzem sorgte eine Studie des MIT (Massachusetts Institute of Technology) für Aufsehen, die eine extrem hohe Rate an erfolglosen KI-Projekten angab. Nur 5% aller Pilotprojekte im Bereich generativer KI hätten demnach eine messbare positive Auswirkung auf den Gewinn. Die Studie kommt ausserdem zum Schluss, dass lediglich der Technologie- und der Kommunikationssektor bisher Anzeichen einer deutlichen Auswirkung des Einsatzes von KI zeigen. Allerdings sollte das auch in dem Kontext gesehen werden, dass die Möglichkeiten von generativen KIs vermutlich anfänglich überschätzt wurden. Die Hauptbarriere für ein erfolgreiches Projekt ist, dass generative KIs nicht dazulernen.
Interessanterweise stellten die Autoren ebenfalls fest, dass die Mitarbeiter von 90% der befragten Unternehmen regelmässig persönliche Abos für ChatGPT oder ähnliche generative KIs in ihrer täglichen Arbeit einsetzten. Das kann helfen, Teile der regelmässigen Aufgaben zu automatisieren. Das Ergebnis mag nicht unmittelbar in dem Zahlenwerk eines Unternehmens sichtbar sein, aber es dürfte selektiv zu Einsparungen und Effizienz Steigerungen führen. Der öffentliche Fokus auf generative KIs verstellt aber immer noch den Blick auf den sehr erfolgreichen Einsatz von spezialisierten KIs für beispielsweise die Internetsuche oder für Übersetzungen.
Gemessen an der eigenen Historie ist die Bewertung (Kurs im Verhältnis zum geschätzten Gewinn der nächsten 12 Monate) des Technologiesektors zweifellos erhöht. Die Erwartungen an KI sind enorm hoch und damit einher geht ein stark gewachsenes Rückschlagspotenzial. Verglichen mit dem Bewertungsniveau an der Spitze der dot.com-Bubble ist der Sektor jedoch noch geradezu billig. Im März 2000 war die Bewertung etwa doppelt so hoch wie jetzt (siehe Abbildung 2). Allerdings bewegen sich die Bewertungen unter den KI-Aktien in einer sehr grossen Spanne. Einige sind mit einem noch vertretbaren KGV von 30 bewertet, und am oberen Ende findet sich ein fundamental nicht mehr zu rechtfertigendes KGV von etwa 200.
KI dürfte zu den grösseren technologischen Fortschritten gehören. Der zunehmende Einsatz ändert zumindest die Nutzererfahrung und kann durch Automatisierung zu Effizienzgewinnen führen. Für diejenigen Unternehmen, die Letzteres erfolgreich umsetzen, könnte daraus ein Wettbewerbsvorteil resultieren. Sie sollten Produkte oder Dienstleistungen effizienter bereitstellen können bzw. eine bessere Qualität erreichen.
Für den Technologiesektor sollte der zunehmende Einsatz von KI zu den längerfristig tragfähigen Trends gehören, die den Sektor antreiben. Diese starken strukturellen Trends sind ein wesentlicher Faktor für die gute Performance von Technologieaktien. Das ist einer der Gründe, warum wir eine positive Haltung zu dem Sektor haben.
Kurzfristig ist die Visibilität bei den sogenannten Enablern (Chips, Chipproduktion, Betreiber von Rechenzentren) und Stromversorgern am höchsten. Im Bereich Software gibt es ebenfalls erste ermutigende Anzeichen, aber der Markt wird stärkere Beweise für eine erfolgreiche Monetarisierung sehen wollen. Im Mediensektor deutet sich eine Spaltung in Unternehmen an, deren Geschäftsmodell durch KIs angegriffen wird (z.B. Werbeagenturen), und solche, die KI erfolgreich einbinden können (Internetkonzerne).
Bei den übrigen Sektoren hat KI bereits mehr oder weniger strukturiert Eingang gefunden. Für den Industriesektor ist sie beispielsweise ein etabliertes Instrument zur Produktionsüberwachung und im Finanzsektor zur Verhinderung von Betrug. KIs scheinen geradezu prädestiniert, um im Gesundheitssektor bildgebende Verfahren zu unterstützen. Allerdings ist das bisher noch nicht im grossen Stil sichtbar.
In vermutlich allen Sektoren scheinen generative KIs bereits informell Eingang in den Arbeitsprozess gefunden zu haben. Dies könnte eine gute Basis für erfolgversprechende Standardisierung und damit erfolgreiche Produkte sein. Die Identifikation von Unternehmen, die KI gewinnbringend einsetzen, dürfte allerdings herausfordernd bleiben.