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Finanzmärkte zwischen KI-Boom und Rezessionssorgen

Grosse Erwartungen an Firmen aus dem Bereich Künstliche Intelligenz (KI) verliehen den Aktien zuletzt Flügel. Eine fehlende Marktbreite und die restriktive Geldpolitik mahnen zur Vorsicht.

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Spätestens seit der Vorstellung des Chatbots ChatGPT vor knapp einem halben Jahr ist das Thema KI wieder in aller Munde. An den Finanzmärkten hat die erneut aufflammende grosse Begeisterung der Anleger für KI-bezogene Themen dazu geführt, dass die Aktienmarktrally der letzten Monate, die noch Anfang Mai Anzeichen von Ermüdungserscheinungen aufwies, wieder frischen Auftrieb bekommen hat. Auslöser waren die sehr guten Zahlen und ein sehr positiver Ausblick des Chipherstellers Nvidia, der von der stark anziehenden Nachfrage nach Chips für KI-Anwendungen profitiert.

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Thomas Härter, Investment-Stratege

Technologieaktien sind noch sehr weit von den Exzessen des Jahres 2000 entfernt, als die Überbewertung drei Mal so hoch war.

Thomas Härter, Investment-Stratege
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Allerdings sind damit erneut vornehmlich Aktien aus jenen Sektoren gestiegen, die schon seit Beginn des Jahres die Performance gerade des US-Aktienmarktes massgeblich prägten. In diesem Zusammenhang wird von vielen Beobachtern schon seit geraumer Zeit die fehlende Breite der Aufwärtsbewegung des US-Aktienmarktes moniert. 

Es ist eher selten, dass Aktienindizes von sehr wenigen Branchen oder wenigen Aktien in immer luftigere Höhen getrieben werden, während der Rest des Marktes auf der Stelle tritt oder sogar an Wert verliert. Wir untersuchen daher, inwieweit die Situation bei den Technologieaktien heute mit den Übertreibungen der Zeit 1998/2000 vergleichbar ist und wo die Unterschiede liegen könnten. Wir wagen einen Ausblick auf folgende Fragestellungen:

  • Befinden sich US-Technologiewerte durch die Rally mittlerweile in einer deutlichen Überbewertung, eventuell sogar vergleichbar mit der Dotcom-Blase?
  • Ist die Bewertung des restlichen US-Marktes attraktiv, wenn man durch die möglicherweise von den Technologieaktien nach oben verzerrte Bewertung des Gesamtmarktes hindurchschaut?
     

US-Tech durch KI-Boom getrieben

Die mangelhafte Marktbreite der Rally lässt sich an verschiedenen Kriterien ablesen: so liegt die Gesamtrendite des gleichgewichteten S&P 500 seit Jahresbeginn bei 5%, während der S&P 500 selbst um ganze 15% zulegen konnte. Oder der Ausschluss der grössten 10 Unternehmen führt dazu, dass die Rendite des Restindex auf nur ca. 6% sinkt. Auch die Bewertung der US-Tech-Aktien im Verhältnis zu kleinkapitalisierten US-Unternehmen scheint aus dem Ruder gelaufen zu sein. Dass Small Caps bei einer drohenden Wirtschaftsabkühlung schlechter laufen, ist jedoch nicht ungewöhnlich, da diese besonders von Bankkrediten abhängig sind und oft in konjunktursensitiveren Branchen tätig sind.

Dass Technologie-Aktien auch über längere Phasen eine sehr gute Performance aufweisen können, überrascht nicht. Schliesslich handelt es sich meistens um Unternehmen in strukturell schnell wachsenden Märkten, was oft zu Lasten etablierter Märkte erfolgt. Grafik 1 zeigt die relative Entwicklung von US-Technologieaktien ggü. dem MSCI Weltaktienindex, S&P 500 sowie dem Russell 2000 seit 1983 im logarithmischen Massstab. Seit fast 20 Jahren konnten US-Technologieaktien dem Trend nach diese Indizes deutlich schlagen. 

Dieser langfristige Trend beschleunigte sich in den letzten Monaten erneut, nach einem Einbruch, der von Ende 2021 bis Ende 2022 dauerte. Der jüngste Anstieg wurde insbesondere durch eine Handvoll Tech-Aktien (allen voran Nvidia) angetrieben, mit einem Fokus auf den Bereich der künstlichen Intelligenz. 

Geringere Überbewertung als im Jahr 2000

Eine gute Aktienperformance bedeutet nicht unbedingt, dass die Bewertung übertrieben sein muss. Das gilt insbesondere bei schnell wachsenden Industrien. Daher lohnt sich ein Blick auf die relative Bewertung von Technologieaktien auf Basis der erwarteten Gewinne. Die relativen Preisverhältnisse des Technologiesektors im Vergleich zum Weltaktienmarkt, dem S&P 500 und dem Russell 2000 sind wieder ähnlich hoch, wie zuletzt im Jahr 2000. Grafik 1 zeigt wie sich die Outperformance während der Tech-Bubble 2000 beschleunigte (siehe gebogener roter Pfeil). Die jüngste Entwicklung zeigt eine im Vergleich zu 2000 bis jetzt wesentlich geringere Beschleunigung der Outperformance. Die Grafik zeigt ebenfalls, dass sich Technologieaktien in einem langfristigen Trend seit 40 Jahren besser entwickelten und somit die Outperformance in gewissem Sinne normal war. Schliesslich wiesen Technologieaktien ja auch seit Jahrzehnten ein höheres Trendgewinnwachstum auf. Berechnet man, wie stark Technologieaktien fallen oder steigen müssten, um das durchschnittliche relative Kurs-Gewinn-Verhältnis zu erreichen, ergibt sich das in Grafik 2 dargestellte relative Bewertungsmodell, das auch Vergleiche mit der Technologieblase 2000 zulässt. Im Februar 2000 waren Technologieaktien gemäss diesem Modell fast 70% überbewertet. Mit anderen Worten, ein Rückgang von ca. 40% hätte zu einer Bewertung von US-Technologieaktien im Einklang mit dem Gesamtmarkt geführt. 

Und heute? US-Technologieaktien erscheinen gemessen am relativen Kurs-Gewinn-Verhältnis etwas mehr als 20% zu teuer. Für Experten: Sie sind damit gerade eine Standardabweichung zu teuer. Somit sind Technologieaktien noch sehr weit von den Exzessen des Jahres 2000 entfernt, als die Überbewertung drei Mal so hoch war.

US-Aktien insgesamt eher teuer

Wie sieht es mit der zweiten Frage aus: Ist die Bewertung des restlichen US-Marktes attraktiv? Leider: nein! US-Aktien sind historisch betrachtet eher hoch bewertet, v. a. im Vergleich zu den mittlerweile erzielbaren Renditen bei sicheren Staatsanleihen oder gar Geldmarktanlagen.

Hinzu kommt Gegenwind von Seiten der Marktliquidität. Die US-Notenbank sowie andere Zentralbanken setzen ihre Politik der quantitativen Straffung fort und entziehen dem Bankensystem und den Märkten Liquidität. Nach der Anhebung der Schuldenobergrenze kommt hinzu, dass das Finanzministerium in den nächsten Monaten Staatsanleihen im Nettovolumen von bis zu USD 1’000 Mrd. emittieren dürfte. Der vorhandene Liquiditätspool, der aufgrund der quantitativen Straffung immer kleiner wird, könnte also durch Neuemissionen stark belastet werden und auch die Aktienmärkte in Mitleidenschaft ziehen. Die konjunkturellen Ampeln stehen zudem auf Gelb. Im Gegensatz zu normalen Ampeln ist es jedoch denkbar, dass die Konjunkturampel die Rotphase auslässt, direkt wieder von Gelb auf Grün springt oder einfach lange Zeit auf Gelb bleibt.

Abnahme der Marktbreite als Warnsignal

Zudem lieferte eine Abnahme der Marktbreite in der Vergangenheit oftmals gute Signale, um vorsichtiger gegenüber Aktien insgesamt zu werden. So ist die positive Kursentwicklung des S&P 500 im Wesentlichen auf die zehn grössten von 500 (!) Aktientiteln zurückzuführen. Deren Marktkapitalisierung macht inzwischen etwa ein Gewicht von 30% aus. Man muss in der Geschichte des S&P 500 schon bis ins dritte Quartal 1998 zurückgehen, um eine derart hohe Konzentration ausfindig machen zu können. Damals, während der Frühphase der Tech-Blase 2000, vereinten die Top-10-Titel ein Gewicht in ähnlicher Grössenordnung.

Künstliche Intelligenz als neue technologische Revolution

Das heisst aber nicht, dass der Markt deswegen bereits vor einer grösseren Korrektur stehen muss. Phasen rasanten technologischen Wandels haben in der Vergangenheit zwar immer wieder zu Übertreibungen geführt. Oft dauerte es aber Jahre, bis die Übertreibungen wirklich zu gross wurden. So löste die breite Anwendung der Elektrizität zu Beginn des letzten Jahrhunderts einen technologischen und ökonomischen Boom in den 1920er Jahren aus, der auch die Börsen jahrelang kräftig ansteigen liess, bis die Märkte sehr teuer waren und die Hausse mit dem «Schwarzen Freitag» von 1929 abrupt endete. Es ist denkbar, dass die KI-Revolution ebenfalls einen vergleichbaren Boom auslösen könnte, zumal die jetzt im Fokus stehenden generativen KIs tatsächlich das Potenzial haben, die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine signifikant zu verändern. Letztlich sind sie aber nur eine Facette des starken strukturellen Trends zum Einsatz von KI. Und diese strukturellen Trends haben schon seit Langem zu einer besseren Entwicklung des Technologie-Sektors relativ zum breiten Markt geführt.

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Die KI-Revolution könnte einen vergleichbaren Boom wie die Elektrizität in den goldenen 1920ern auslösen.

Thomas Härter, Investment-Stratege
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Positive Faktoren nicht ausblenden

Bei einer nüchternen Betrachtung dürfen auch die positiven Faktoren nicht ausgeblendet werden. Zunächst einmal ist hier der Trend zu erwähnen. Studien zeigen, dass Märkte, die über 6 bis 12 Monate outperformen (eine positive relative Rendite erzielen) eine Tendenz haben, dies auch im nächsten Monat zu tun. Da dieser Tatbestand für US-Technologieaktien (Outperformance) und US-Aktien (positive Rendite) gilt, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass sich dieses Muster kurzfristig fortsetzen wird. Zudem sind die strukturellen Trends zur Digitalisierung, Cloud und der Vernetzung weiter intakt. Von der Makroseite gehen wir zudem davon aus, dass der US-Wirtschaft tatsächlich eine sanfte Landung gelingt und die Inflation sinkt, ohne dass es eine schärfere Rezession gibt.

Ampeln stehen auf Gelb

Summa summarum: Die Ampeln stehen auf Gelb, Vorsicht ist angebracht. Deshalb empfehlen wir, Aktien leicht tiefer zu gewichten. Investoren, die in die bisherigen Überflieger investieren wollen, müssen sich bewusst sein, dass die Bewertungen bereits sehr hoch sind und diese hohen Erwartungen jetzt auch erfüllt werden müssen. Auf der anderen Seite werden Aktien von starken Trends getrieben. Wir erwarten derzeit keinen Crash bei Technologie-Aktien, aber bei einzelnen Aktien könnte Vorsicht angebracht sein.

Anlagepolitik-Ansprechpartner

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